Rectum
Carcinom

Rectum Carcinom

Die Chirurgie des Rectum Carcinoms stellt ein Besonderheit und eine große chirurgische Herausforderung dar, da hier zwei Interessensbereiche aufeinander treffen: zum einen das Streben nach einer möglichst radikalen Entfernung des Tumors, zum anderen der Wunsch, die Kontinenzfunktion des Afters wenn möglich zu erhalten.

 

Im Wesentlichen dient das Rectum als Stuhlreservoir, an dessen Ende der anale Schließmuskelapparat sitzt. Sphinkter und Rectum ermöglichen die kontrollierte Entleerung des Darms bzw. das Zurückhalten des Stuhls. Diese Kontinenzfunktion basiert auf einem komplizierten physiologischen Zusammenspiel der einzelnen Schließmuskelkomponenten, des Beckenbodens, des Reservoirorgans (Rectum), diverser nervaler Reflexbögen u.v.m. In der Vergangenheit wurden bei der Operation des Rectum Carcinoms aus vermeintlichen Radikalitätsgründen wesentliche Komponenten dieses Kontinenzapparates (insbesondere der Schließmuskel) zerstört oder entfernt. Noch vor wenigen Jahren wurde bei tiefsitzenden Rectum Carcinomen planmäßig eine sog. abdominoperineale Rectumamputation oder Miles Operation (komplette Entfernung des Anus und Rectum) durchgeführt, was für den Patienten einen künstlichen Darmausgang auf Lebenszeit bedeutete.

 

Die Erhaltung des Schließmuskels ist heute Ziel eines jeden engagierten Rectum-Chirurgen. Dies ist bei über 90% aller Patienten mit einem Rectum Carcinom möglich. Natürlich dürfen dabei keinesfalls die klar definierten Radikalitätskriterien verletzt werden. Entsprechende Sicherheitsabstände vom Tumor oberhalb, unterhalb und zur Seite müssen streng eingehalten werden, um eine komplette Tumorentfernung zu gewährleisten und ein Lokalrezidiv zu verhindern. Dies wird durch verschiedene Techniken möglich.

 

Lokale Exzision:

Bei sehr frühen Rectum Carcinomen ist eine lokale Tumorexzision mit demselben Überlebensergebnis wie nach einer ausgedehnten Resektion möglich. Voraussetzung dafür ist ein peinlichst genaues, technisch aufwendiges Staging des Tumors, d.h. eine genaue Bestimmung der Tumorgröße und seiner Ausdehnung im Gewebe sowie möglicher Metastasen. Wenn der Tumor die streng definierten Kriterien erfüllt, ist eine transanale Exzision ohne Einbuße der Überlebenschance bei gleichzeitiger Erhaltung des Kontinenzorgans möglich. siehe Abbildung

 

Total mesorectal excision (TME):

Der Verlust der Sexualfunktion und Blasenstörungen aufgrund einer Schädigung der autonomen Nervenbahnen bei der Präparation des Rectums im Becken sind häufige und schwerwiegende funktionelle Folgen. Insbesondere die Sexualfunktion des Mannes wird bei der traditionellen stumpfen dorsalen Präparation des Rectums in 60-90% der Fälle zerstört. Dem englischen Chirurgen Bill Heald ist es zu verdanken, dass die Technik der Rectum-Präparation heute anatomiegerechter geworden ist und eine Verletzung der nervalen Strukturen in der Regel vermieden werden kann. Das Mesorectum wird in seiner natürlichen Grenzlammelle milimeterweise scharf präpariert. Dabei wird zum einen eine Verletzung der außerhalb dieser Schicht verlaufenden Nervenbahnen vermieden, zum anderen wird aber auch eine Verletzung der im Mesorectum verlaufenden Lymphgefäße verhindert, was eine Tumorzelldissemination (Verbreitung von Tumorzellen) bei der Operation zur Folge haben und zum Tumorrezidiv führen würde. Durch die komplette Entfernung des Mesorectums bis auf den Beckenboden werden bei dieser Technik auch distal (unterhalb) des Tumors gelegene Lymphknotenmetastasen mit entfernt. Mit dieser neuen Operationstechnik, der sog. "total mesorectal excision" oder TME, ist es Heald nicht nur gelungen, die funktionellen Ergebnisse der Rectumchirurgie (Sexual- und Blasenfunktion) zu verbessern, sondern auch gleichzeitig die Radikalität zu erhöhen. Die von Heald erzielten Lokalrezidivraten beim Rectum Carcinom liegen mit 2,7% weit unter den besten mit herkömmlicher Präparationstechnik erzielten Ergebnissen (8-15%). siehe Abbildung

 

Tiefe Anastomosentechniken:

Ganz entscheidend zur Erhaltung des Sphinkterapparates beigetragen hat die Entwicklung neuer und besserer Anastomosen-Techniken. Mithilfe von Staplern (Klammernahtgeräten) aber auch von weiterentwickelten transanalen Handnahttechniken lassen sich heute tiefste Anastomosen mit vertretbarem Risiko durchführen. Die Kontinuität der Darmpassage wird nicht selten durch eine Anastomose des Colons direkt an den Anus wiederhergestellt. Um zusätzlichen Sicherheitsabstand nach unten zu gewinnen, können selbst die oberen Sphinkteranteile zusammen mit dem Rectum reseziert werden (intersphinktäre Resektion, coloanale Anastomose), ohne einen bleibenden Verlust der Kontinenzfunktion in Kauf nehmen zu müssen. siehe Abbildung 1 siehe Abbildung 2

 

Neorectum:

Wenngleich durch die Entwicklung der tiefen Anastomosen-Techniken in den meisten Fällen auf eine Entfernung des Schließmuskels verzichtet werden konnte, waren die funktionellen Ergebnisse nicht selten durch vermehrte Stuhlfrequenz, häufigen Stuhldrang oder partielle Inkontinenz getrübt. Vor einigen Jahren ist man daher dazu übergegangen im Rahmen der Wiederherstellung der Stuhlpassage bei tiefen Anastomosen ein Neorectum mit Reservoirfunktion zu schaffen. Dies wird mit einem sog. Colon Pouch bewerkstelligt, d.h. aus dem untersten Teil des verbleibenden Colons wird ein ca. 6 cm langer Sack (Pouch) gebildet, an den der Rectumstumpf bzw. der Anus anastomosiert wird. Dieser Pouch dient zu einen als Reservoir, hat aber auch gleichzeitig einen motilitätsverzögernden Effekt, so dass die Stuhlfrequenz selbst bei ultratiefen Anastomosen deutlich gesenkt werden kann.

 

Vorübergehender künstlicher Ausgang:

Bei Rectum Carcinomen im unteren Mastdarm macht man heute praktisch immer einen vorübergehenden künstlichen Ausgang, um die Abheilung der Anastomose (Darmnaht) nicht zu gefährden. Dieser Schritt ist wegen der besonderen Durchblutungssituation, aber auch wegen der potentiellen Gewebsschädigung durch die Vorbehandlung sinnvoll und in allen internationalen Zentren Standard. Natürlich könnte man es darauf ankommen lassen und das Risiko einer Heilungsstörung der Darmnaht (Anastomoseninsuffizienz ) eingehen. Bei einer Leckage der Darmnaht tritt Stuhl aus und gelangt ins Becken, wo er eine heftige, lebensbedrohliche Entzündung verursacht. Diese heilt, nachdem man jetzt im Nachhinein notfallmäßig doch einen künstlichen Ausgang angelegt hat, immer mit einer erheblichen Narbenbildung aus, was zu einer massiven Einschnürung des "Ersatz"-Mastdarms und zu einer schweren Beeinträchtigung der Reservoir-Funktion führt. Diese Patienten werden später nie eine normale Kontinenzfunktion erlangen und sind meistens geplagt durch eine massiv erhöhte Frequenz von Stuhlgängen tags und nachts. Daher lege ich bei meinen Patienten fast immer einen sg. Schutzausgang an, der dann je nach Situation nach 1-6 Wochen wieder zurückverlegt wird. siehe Abbildung

 

Neoadjuvante multimodale Therapie:

In zunehmenden Maße werden heute größere Rectum Carcinome in den unteren zwei Drittels des Mastdarms vor der geplanten Operation einer Radiochemotherapie unterzogen. Ziel ist es, diese Carcinome, die rein chirurgisch nicht sicher kurativ operiert werden können und/oder wegen ihres Ausmaßes möglilcherweise einen verstümmelnden Eingriff (abdominoperineale Rectum-Amputation) erforderlich machen würden, durch die Vorbehandlung deutlich zu verkleinern. Dies gelingt in der Mehrzahl der Fälle und bedeutet für den Patienten, wie neuere Untersuchungsergebnisse andeuten, nicht nur eine Verbesserung der Prognose, sondern nicht selten auch eine Erhaltung des Schließmuskels. Ich veranlasse heute praktisch immer bei Tumoren in den zwei unteren Rectum-Dritteln (auch schon bei kleineren Carcinomen), wo eine lokale Exzision aufgrund der Tumorgröße und -Ausdehnung nicht mehr infrage kommt, eine Vorbehandlung durch Strahlentherapie und gleichzeitiger Chemotherapie. Diese Vorbehandlung dauert etwa 5 Wochen. Danach folgt eine Erholungsphase für das Gewebe von ca. 4 Wochen bis zur Operation. Vor der Operation wird ein sog. Restaging (nochmalige Computertomographie und Darmspiegelung) durchgeführt. In vielen Fällen findet man eine deutliche Verkleinerung des Tumors (Downstaging), was den geplanten Eingriff meist erheblich erleichtert.